Den haben Sie ganz bestimmt direkt vor Ihrer Haustür! Der Breitwegerich (Plantago major) wächst immer dort, wo viel gegangen oder auch gefahren wird. Wenn Sie auf ihn treten, macht ihm das kaum etwas aus – im Gegenteil, Betreten ist sogar erwünscht, denn dabei heftet der Wegerich einem seine klebrigen Samen an die Schuhsohlen. Und ohne betreten zu sein verbreitet man ihn entlang der Wege ins Umfeld. Optimal, denn das verheißt reiche Ernte.
Beim Drüberfahren ist das oft nicht viel anders, denn der Breitwegerich liebt Reifen wie Sohlen. Erkennbar an dem kilometerlangen Vorkommen entlang von Feldwegen und unbefestigten Straßen, sogar in den Ritzen der Bordsteinkanten wie an den Asphalträndern der Autobahnen. Dort schätzt man den Breitwegerich als grünen Augenschmaus.
Extrem lang und doch filigran
Eine bis einen Meter lange Pfahlwurzel kann der Breitwegerich selbst in stark verdichteten Untergrund treiben. Dafür muss er nicht einmal Regenwurmgänge oder Spalten vorfinden, die Wurzel bohrt sich aus eigener Kraft durch den Boden. Und erschließt dort Wasser und Nährstoffe, die den Wegerich auch in schlechten Zeiten der Dürre noch sehr gut versorgen. Damit verschafft sich der Wegerich einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen Pflanzen, die auf solchen Standorten dann nicht konkurrenzfähig sind.
Im Wettbewerb um Wuchsraum drängt sich der Breitwegerich auch durch sein flach dem Boden angedrücktes Wesen einen Vorsprung. Seine großen Blätter reihen sich zu einer Rosette. Nur wenn wuchsstarke Gräser neben ihm stehen, streckt er sie nach oben. Gewöhnlich breitet er sie möglichst großflächig über das von ihm beanspruchte Territorium aus, um seine Gebietsansprüche zu sichern – gute Nachbarschaft ist nicht eben seine Devise. Hat er sich seine Ressourcen gesichert, stirbt die Pfahlwurzel oft ab, ein dichter Bart aus Nebenwurzeln übernimmt eine umso üppigere Versorgung.
Mitunter lässt sich das Wurzelwerk ganz leicht aus der Erde holen: Blattrosetten packen und aus der Erde ziehen. Nach sorgfältiger Reinigung, die sich als recht mühsam erweist, kann man die Wurzeln als Gemüse nutzen. Ob sich das lohnt, mag jeder für sich entscheiden.
Extrem zäh und doch ganz fein
Unter Survivalspezialisten zählt der Breitwegerich zusammen mit seinen nahen Verwandten zum sog. Dirty Dozen, den „schmutzigen“ zwölf Pflanzenarten, die man weltweit findet, die unverwechselbar aussehen und einen hohen Nährwert haben. Anders als bei Löwenzahn und Nachtkerzen steckt die Energie beim Breitwegerich vor allem in seinen Samen.
Doch fangen wir bei den Blättern an: rundlich, ganzrandig, ledrig, von markanten Adern durchzogen und stets gestielt – das unterscheidet sie von denen des Mittleren Wegerichs (Plantago media), die zudem auch noch eine deutliche Blattspitze aufweisen und weich behaart sind. Junge Breitwegerichblätter sind noch weich und gut roh verzehrbar, ältere ähneln dagegen mehr einer Schuhsohle, auf der man herumkaut. Wer Tritt aushalten kann, muss eben sehr zäh sein.
Und doch kann man auch ausgewachsene, oft handtellergroße Breitwegerichblätter in der Küche gut nutzen. Blanchiert oder gedämpft eignen sie sich zum Einwickeln – warum nicht mal Sushi vom Wegrand servieren? Dafür werden die vorgegarten Blätter gefüllt und aufgewickelt. Man kann die Blätter auch quer zur Äderung zerschneiden und solo oder im Mix mit anderen Kräutern für Spinatgemüse oder Füllungen verwenden. Durch Fermentation werden sie wesentlich angenehmer zum Essen, zudem bekömmlicher und auch geschmacklich sehr interessant.
Noch wertvoller erweisen sich die Blätter als „grünes Pflaster“. Auf wundgeriebene Stellen an Fersen oder Fußsohlen gelegt, wirken sie kühlend, abschwellend und lassen eine Blase gar nicht erst entstehen. Nicht umsonst nennt man den Breitwegerich „Freund des Wanderers“. Ebenso leistet ein zerquetschtes Blatt gute Dienste bei Insektenstichen, ähnlich wie der für diese Nutzung viel bekanntere Spitzwegerich (Plantago lanceolata).
Alle Wegeriche enthalten in ihren Blättern das Iridoidglycosid Aucubin mit antibakterieller und entzündungshemmender Wirkung. Sie werden seit jeher für Hautkrankheiten eingesetzt, so früher auch bei sehr schwerwiegenden wie Lepra oder dem Antoniusfeuer (Mutterkornvergiftung). Das belegen Gemälde von großen Meistern des 16. Jahrhunderts, wo Breitwegerich naturgetreu wie beim Triptychon „Anbetung der Könige“ von Hieronymus Bosch oder auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald abgebildet ist.
Extrem lang und doch so winzig
Unter allen heimischen Wegericharten schiebt der Breitwegerich die längsten Blütenstände, auch die sind ein Erkennungsmerkmal. Spitzwegerich hat kurze, ei-bis walzenförmige Blütenähren, der Mittlere Wegerich schlanke mit hellrosa bis zartvioletten Staubgefäßen, die wie ein Pinsel wirken. Beim Breitwegerich erscheinen dagegen von Frühsommer bis Spätherbst Ähren, die oft länger als eine Handspanne werden. Anfangs erinnern die knospigen, grasgrünen Blütenstände ein wenig an Reptilienschwänze – und sind sehr begehrt für allerlei Rezepte. Gebraten, in Öl oder Würzessig eingelegt, immer sehr delikat.
Sobald sich die unscheinbaren Blüten in Früchte verwandeln, liefert der Breitwegerich reiche Ernte. Indem jede Pflanze zahlreiche Blütenkerzen bildet, an denen schätzungsweise bis hundert kleine Kapseln dicht an dicht beieinander stehen, die sich auch noch leicht von der Achse abrebeln lassen, kommt in kurzer Zeit eine Menge Erntegut zusammen. Sie lassen sich sofort einsetzen, roh oder gebraten schmecken sie nussig und pilzartig.
Die anfangs grünen, später grau- bis dunkelbraunen eiförmigen Kapseln sprengen ihre Deckel ab und entlassen schwarze Samen. Schon beim Abstreifen der Früchte fallen sie heraus. Sie wirken wie kleine Tierchen, deshalb nennt man sie auch Floh-Samen.
Flohsamen? Ja, die in moderner Küche vielfach eingesetzten Nahrungsergänzungsmittel stammen von nahe verwandten, fremdländischen Wegericharten wie dem Strauchwegerich (Plantago ovata). Was die können, leisten Breitwegerichsamen schon lange! Nämlich aufquellen, sobald sie mit Wasser in Berührung kommen. Sie stecken voller Polysaccharide, die ein Gel, einen Schleim bilden, mit dem sich die Samen optimal an Füße, Hufe, Reifen und andere Transportmittel ankleben können. Diese verschleimenden Inhaltsstoffe gelten heilkundlich als besonders gut für Magen und Darm, weil sie schneller das Sättigungsgefühl aktivieren, Giftstoffe binden, die Verdauung regulieren.
Für die Küche muss man sich nicht unbedingt die Mühe machen, die winzigen schwarzen Samen von den Fruchtschalen zu trennen. Wenn doch, bereichern die ölreichen Körnchen ähnlich wie Sesam oder Mohn allerlei Gebäck, oder können gemahlen zum Strecken von Mehl dienen.
Gut für Darm und Gesundheit
Wegerichfrüchte werden gerühmt, dass sie als Ballaststoffe vor allem guten Bakterien im Darm als Nahrung dienen, also die Darmflora günstig beeinflussen. Zersetzt werden Flohsamen wie Wegerichfrüchte erst im Dickdarm, die dabei gebildeten kurzkettigen Fettsäuren haben neueren Forschungen zufolge eine günstige Wirkung auf den Cholesterinspiegel wie aufs Gehirn. Sie helfen Mikrogliazellen im Gehirn, entzündliche Prozesse effizient zu bekämpfen und beugen wahrscheinlich Hirn- und Autoimmunkrankheiten wie Alzheimer oder Morbus Crohn vor. Viel trinken beim Verzehr von Wegerichfrüchten oder -samen ist wichtig, damit die Quellwirkung gut einsetzt, die Ballaststoffe gut abgebaut und die Reste problemlos wieder ausgeschieden werden können.
Es muss noch viel geforscht und untersucht werden, bis alle positiven (und eventuell auch negativen) Eigenschaften von Wegerichfrüchten bekannt werden. Man sollte seine Nahrung doch auch nicht immer nur danach aussuchen, ob eine Zutat gesundheitlich top oder ernährungsphysiologisch ein Flop ist. Deshalb steht auch hier die Freude an Wildkräutern im Essen im Blickpunkt – wenn Essen Spaß macht und Genuss bietet, dann fühlt man sich rundum wohl.
Breiter Genuss vom Wegrand
Stellen wir also Heilkunde in den Hintergrund und rücken wir Kochkunst ins Rampenlicht –beides bleibt dennoch verbunden. Genuss in vollen Zügen jetzt im ausklingenden Sommer und beginnenden Herbst können in erster Linie Breitwegerichfrüchte vermitteln. Geschmacklich meiner Ansicht nach am besten sind die nicht völlig ausgereiften, noch etwas grünen Früchte. Die haben wie bei Wegerichen üblich ein pilzartiges Aroma, das sich durch kurzes Rösten gut intensivieren lässt. Passen deshalb perfekt in Pilzgerichte. Aber auch auf eine Kartoffel- oder Erbsensuppe oder in eine Gemüsepfanne.
Mischen Sie doch mal Breitwegerichfrüchte in den Brotteig, bestreuen Sie Brötchen damit. Passt perfekt! Ein resches Bauernbrot oder ein deftiges Roggenbrot, bestrichen mit bester Butter und bestreut mit Breitwegerichfrüchten, da treffen legendäre Spezialitäten zusammen. Oder doch lieber einen Aufstrich aus pürierten Karotten mit gerösteten Breitwegerichfrüchten zubereiten? Selbst altbackenes Brot können Sie aufwerten, indem Sie es reiben und mit Breitwegerichfrüchten zu einem außergewöhnlichen Paniermehl mischen.
Freuen Sie sich schon beim Ernten, geben Sie sich einer sorgsamen Zubereitung hin, richten Sie das Essen mit Liebe an und zelebrieren Sie das Verspeisen. Das hat der Breitwegerich mehr als verdient – und es ist wahre Pflanzenlust!
Text: Karin Greiner
Fotos: Renate Blaes
Breitwegerich-Rezepte:
Kohlrabischnitzel mit Breitwegerich-Panade
Brot mit Breitwegerich-Früchten
Erbsensuppe mit Breitwegerich-Früchten
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