Vogelbeere

Je mehr Früchte der Vogelbeerbaum trägt, desto härter wird der Winter nach alter Vorhersage der Bauernregeln. Ob’s stimmt, wird sich erst nächstes Jahr erweisen. In jedem Fall trifft jedoch zu, dass mit der Reife der Ebereschen (Sorbus aucuparia), wie Vogelbeeren auch heißen, sich allmählich der Herbst ankündigt. Die leuchtend orangeroten Perlen sind ein Auftakt für das alljährliche Farbspektakel der Natur, das sich zwischen Sommer und Winter abspielt.

 

Von wegen giftig!
Das haben Sie bestimmt noch aus Kindheitstagen in den Ohren: „Lass bloß die Finger von den Vogelbeeren, die sind giftig!“ Der Glaube ist bis heute weit verbreitet. Stimmt aber so nicht, Vogelbeeren roh gegessen führen höchstens zu Verdauungsbeschwerden. Das beweisen die Statistiken der Giftnotrufzentralen, wo nur selten eine Beratung nach Verzehr erfragt wird und die Symptome völlig harmlos blieben. Man müsste schon eine gewaltige Menge der korallenroten Früchtchen vertilgen, um sich wirklich zu schaden – ein Erwachsener rund 90 kg. Das wird kaum gelingen, denn der bitter-saure Geschmack verdirbt schon bald den Appetit.

 

Von feinem Aroma
Für die vermeintliche Giftigkeit ist wohl verantwortlich, dass Vogelbeeren in den (allerdings sehr kleinen) Samenkernen ähnlich wie Äpfel, Vogelkirschen oder Mandeln Substanzen enthalten, die Blausäure abspalten. Obwohl Blausäure bzw. Cyanide hochgiftig sind, stecken sie doch nur in winzigen Spuren in den Samen, die dem Menschen wohl kaum gefährlich werden. Angst vor einer Vergiftung durch Vogelbeeren braucht man also auch deshalb nicht zu haben. Im Gegenteil, mit den Blausäureverbindungen kommt ein feines Aroma in die Früchte, es duftet nach Marzipan – besonders bemerkbar beim Vogelbeerbrand.

Von langer Haltbarkeit
Die Bitterkeit wird vor allem durch Parasorbinsäure hervorgerufen, deren Gehalt in vollreifen Früchten am höchsten ist. Sie reizt den Magen und kann zu Unwohlsein, Durchfall und Bauchweh führen. Durch Kochen, Trocknen, Einlegen in Alkohol, Essig oder Maischen wird die Parasorbinsäure in Sorbinsäure umgewandelt. Diese wiederum wurde früher aus den Vogelbeeren gewonnen, weil sie die Vermehrung von Mikroorganismen hemmt und sich daher als Konservierungsmittel eignet. Deswegen hat man Vogelbeeren früher gerne Saft, Most und Wein zugesetzt, um sie besser haltbar zu machen.

Vor allem wertvoll
In Vogelbeeren stecken viele gesunde Stoffe, angefangen von Gerbstoffen über Fruchtsäuren und Pektinen bis hin zu einer gehörigen Portion Vitamin C (bis über 100 mg pro 100 g Frischgewicht, etwa doppelt so viel wie Zitronen) sowie Provitamin A. Gerbstoffe, die durchaus ebenso bitter schmecken, wirken zusammenziehend und stopfend, getrocknete Vogelbeeren oder Vogelbeermus wirken daher gegen Durchfall und Übelkeit, regen Leber und Galle an, komplett gegenläufig wie rohe Früchte.

Zitronen des Nordens
Die Fruchtsäuren sowie das Vitamin C verleihen den Vogelbeeren einen sehr erfrischend, bisweilen sogar leicht bissig sauren Geschmack. Sie verhindern, dass Obst braun anläuft. Eine kleine Menge Vogelbeeren einem Saft oder einer Marmelade zugefügt hält diese leuchtend farbenfroh. Viel Vitamin C ist für eine gesunde Ernährung hochwillkommen. Es fängt freie Radikale ab, verbessert die Eisenaufnahme, wirkt vorbeugend gegen Gefäßkrankheiten und stärkt das Immunsystem.

Und noch viel mehr
Provitamin A hält Haut und Schleimhäute fit, spielt eine wichtige Rolle bei der Zellerneuerung und stärkt die Sehkraft. Sänger und Redner essen daher getrocknete Vogelbeeren, um ihre Stimmbänder elastisch zu halten und sich vor Halsentzündungen zu schützen.

Pektin hat positiven Einfluss auf den Cholesterinspiegel, hilft Magen und Darm bei einer geregelten Verdauung. Es bindet Giftstoffe und reguliert den Wassergehalt im Stuhl. Das hat man sich in der Volksheilkunde zunutze gemacht und Vogelbeermus nicht nur bei Durchfall, sondern auch gegen Rheuma und Gicht verabreicht, um den Körper von den schmerzbereitenden Entzündungsstoffen zu entlasten. In der Küche freut man sich über hohe Pektingehalte, weil Konfitüren, Marmeladen oder Gelees ohne viele Zusätze von selber gelieren.

Süß sind Vogelbeeren obendrein. Es ist bis zu 12 % Sorbit enthalten, das zwar nur halb so süß wie Haushaltszucker schmeckt, dafür aber weder Karies fördert noch Insulin zur Verstoffwechselung erfordert, ideal für Diabetiker. Und optimal für Schnapsbrenner, denn die Süße lässt sich zu Alkohol vergären, Vogelbeeren ergeben eines der edelsten Obstwässer. Der Vogelbeerschnaps ist nur für Frauen, so heißt es im Volksmund, für Männer viel zu schade…

Nicht bewiesen, aber lange erprobt
Vogelbeeren gehören nicht ins Repertoire der geläufigen Heilpflanzen. Wissenschaftlich ist ihre Wirksamkeit nicht erwiesen, weil auch kaum nachgeprüft. Aber schon Hippokrates (460-370 v.Chr.) erwähnt die heilenden Eigenschaften, Karl der Große  (742-814) ordnet den Anbau von Vogelbeeren auf seinen Gütern als Heilmittel gegen Skorbut und Lungenkrankheiten an, der erzgebirgische Chronist Christian Lehmann (1611-1688) schreibt über die Anwendung von Vogelbeeren wider den Bauchfluss, Pfarrer Künzle (1857-1945) empfiehlt einen Tee aus den Früchten gegen Husten. Der österreichische Kräuterpfarrer Weidinger (1918-2004) riet dazu, getrocknete Vogelbeeren gegen Migräne langsam zu kauen, der Schweizer Heilpraktiker Bruno Vonarburg (* 1946) setzt Vogelbeeren in einer Teemischung gegen Lymphknotenschwellung ein.

Frisch gepresster Saft aus den Vogelbeeren, löffelweise eingenommen, wirkt gut gegen Verstopfung, hilft bei Fieber, unterstützt die Heilung von Lungen- und Rippenfellentzündung, kann aber auch in der Küche als Ersatz für Essig oder Zitronensaft dienen.

Besonders schmackhaft
Vogelbeerbäume sind als robuste und gegen Schadstoffe weitgehend unempfindliche Pioniergehölze sowie als Futterspender für mehr als 60 Vogelarten und viele Kleinsäuger nicht nur wertvoll im Wald und für den Forst, sondern auch bestens als Hausbäume geeignet. Sie wachsen schnell, fruchten schon in jungen Jahren, und das jedes Jahr.

Die Qualität der erbsengroßen Vogelbeeren, die botanisch gesehen keine Beeren, sondern kleine Apfelfrüchte sind, schwankt von Jahr zu Jahr, was ihre Bitterkeit angeht. Wer das Bittere scheut, greift auf die natürlich entstandene Varietät, die Süße oder Mährische Eberesche (Sorbus aucuparia var. edulis), oder gezüchtete Fruchtsorten wie `Rossica´ oder `Titan´ zurück, deren Früchte nahezu frei von Bitterstoffen wie Parasorbinsäure und damit auch frisch bedenkenlos genießbar sind, zudem mehr Zucker enthalten.

 

Heilpflanzen-Steckbrief Vogelbeere

So sieht sie aus: Sommergrüner kleiner Baum oder großer Strauch mit 10-15, selten bis 25 m Höhe; ovale, lockere Krone mit schräg nach oben gerichteten Ästen, zur Fruchtreife überhängend; in der Jugend gelblich-grüne, glatte, glänzende, im Alter mattgraue, rissige Borke; wechselständige, aus 9-19 an den Rändern gezähnten Fiedern zusammengesetzte Blätter; kleine weiße Blüten in schirmförmigen Rispen, Blütezeit Mai bis Juni; kugelige, erbsengroße, gelbe, orangefarbene bis dunkelrote Früchte mit je drei Samenkernchen

Da wächst sie:  an sonnigen bis halbschattigen Stellen auf nahezu jedem Boden; weit verbreitet vom Flachland bis ins Gebirge (bis zur Baumgrenze)

Das sammelt man: ganz junge Blätter kurz nach Austrieb sowie eben geöffnete Blütenrispen; vollreife Früchte

So werden sie verwendet: Blätter und Blüten zum Trocknen für Tee gegen Husten, Magenverstimmung; Früchte entsaftet, gekocht und getrocknet zur allgemeinen Stärkung, zur Unterstützung des Immunsystems, bei Magen-Darm-Beschwerden, Rheuma und Gicht, bei Husten und Heiserkeit

Achtung: Rohe Vogelbeeren, im Übermaß gegessen, können Übelkeit, Durchfall und Erbrechen, in seltenen Fällen auch allergische Reaktionen wie Hautausschläge hervorrufen.